So, wir haben nun endlich auch Raya geschaut und es wird Zeit für eine kleine Filmkritik.
Vorweg, vor allem anderen, möchte ich eine Sache erwähnen, die den Film leider für mich richtig runterzieht - die Sprecher und die Dialoge.
Ob das nun am Drehbuch, an den Sprechern selbst oder an der Dialogregie liegt, sei dahingestellt. Wahrscheinlich ist es eine Kombination aus allen Faktoren.
Ich muss dazu sagen, dass ich das auf die Originalfassung beziehe, wie es in der deutschen Synchronisation aussieht, kann ich nicht beurteilen. Seit dem Baymax Synchro Desaster verweigere ich die deutsche Synchronisation bei Disney Filmen standhaft.
Was ist eigentlich das Problem an den Dialogen? Sie passen schlicht an den meisten Stellen nicht meiner Meinung nach. Sie zerstören vielfach den, durchaus gelungenen atmosphärischen Szenenaufbau, weil sie vollkommen deplatziert zum zeitlichen und gestalterischen Setting sind. Das betrifft sowohl Ausdrücke - "my bestie", "hey bud" "my girl" "BFF" uvm. - das passt einfach nicht in die ganze Stilistik, zeitlich, örtlich und gestalterisch.
Die Dialoge aus Sicht der Wortwahl sind aber nicht alles, was den Film aus seiner Zeit und seiner Atmosphäre reißt. Der ganze Sprachklang tut das, zu cool, zu hip, zu modern, zu slangig.
Besonders deutlich finde ich das, zumindest bis kurz vor Ende des Films bei Sisu. Hier ist Awkwafina entweder eine komplette Fehlbesetzung oder wurde von der Dialogregie in die vollkommen falsche Stilistik gelenkt.
Vieles weitere, was ich schreibe ist durch diesen, für mich sehr massiven Makel, überschattet.
Eigentlich hätte der Film ein riesiges Potential. Das Setting wird am Anfang wundervoll eingeführt, visuell herausragend, sowohl technisch, als auch atmosphärisch, insbesondere in der Erzählung der Vorgeschichte, der Darstellung der anderen Länder aus Rayas Sicht. Das erweckt den Eindruck großartig gemachter Sequenzen ähnlicher Thematik aus den besten JRPGs und verspricht unheimlich viel. Natürlich erwarte ich in einem Film von ca. 100 Minuten keinen Storyaufbau, keine Wendungen, keine Tiefe, wie das bei den besten JRPGs mit 50-70 Stunden Hauptstory gelingt, aber die erste Duftmarke, die atmosphärische Grundlage, das wurde alles herausragend gesetzt - und dann kommen die Dialoge… die leider in einem Großteil der Szenen jede Atmosphäre, jedes Gefühl einer immersiven & glaubhaften Geschichte nehmen. Zum Glück muss man sagen, gibt es dazu auch ein paar Ausnahmen zu Ende des Films, insbesondere in den entscheidenden Szenen für die Auflösung der Geschichte. Aber da ist es schon zu spät, zu oft wurde man schon rausgerissen durch Dialoge, als dass es noch gelingen könnte, wirklich in die Atmosphäre und die Welt von Raya hineingezogen zu werden.
In einigen Momenten passt auch die musikalische Hintergrunduntermalung nicht, aber das ist zum Glück seltener.
Kommen wir zur Story. Die ist auch zunächst toll gesetzt und bleibt, auch wenn sie oft etwas verflacht und recht vorhersehbar ist, zumindest ok. Natürlich ist das meiste absehbar, aber sie hat zumindest ihre Momente.
Was ich so gar nicht verstehen kann ist allerdings, die an manchen Stellen getätigte Äußerung, Disney sei mit Raya erwachsener geworden. Das trifft auf die Story genauso wenig zu, wie auf die Dialoge.
Leider wird auch oft die Möglichkeit nicht genutzt, der Story ein bisschen mehr Mystik, ein paar geheimnisvolle Elemente zu geben, die im Hintergrund mitschwingen könnten, ohne explizit aufgelöst zu werden. Das liegt an den bereits erwähnten Mängeln, aber auch an der Charakterzeichnung.
Zuviel möchte ich auf die Story selbst gar nicht eingehen, um nicht in Gefahr zu kommen, zu spoilern, deshalb weiter zu den gerade angerissenen Figuren. Teils sind die sogar ordentlich gelungen, Raya gefällt mir immer wieder, wenn auch nicht durchgängig, Tuktuk ist sensationell, eine später auftretende Figur gibt ein tolles, in sich stimmiges Bild ab, andere, die kommen, nerven allerdings und sind in sich nicht wirklich stimmig - erneut oft der Sprache geschuldet.
Leider gehört zu den schwächeren Figuren, abseits einiger starker Momente im letzten Drittel des Films, auch Sisu. Gerade bei Sisu wird das Potenzial nicht annähernd ausgeschöpft, hier wäre ein tiefgründiger, mystischer Ansatz um Welten besser gewesen, als der oftmals viel zu Klamaukige. Manchmal erscheint es sogar so, als würde man in einigen Momenten eine Homage an Mushu geben wollen. Das sind zum Beispiel Szenen, in denen Sisu plötzlich mit aneinandergereihten, sich selbst hochjubelnden Attributen auftritt, die eigentlich so gar nicht zur Hintergrundgeschichte der Figur passen wollen. Hier wurde - erneut - einfach extrem viel Potenzial verschenkt.
Kommen wir zu einem weiteren Kritikpunkt - dem pädagogischen Dampfhammer. Natürlich haben Disney Filme eine Moral, eine gute, positive Botschaft, natürlich gehört dazu und darf dazu auch ein bisschen Pädagogik gehören. Aber doch bitte nicht so heftig, so mit dem Dampfhammer dem Zuschauer eingebläut. Das Ganze kulminiert im für mich unsäglichen "Lead the Way". Musikalisch wunderschön, textlich aber wirkt es wie aus dem waldorfpädagogischen Stuhlkreis.
Der Film lässt in dem Bereich nichts, aber auch gar nichts offen, um selbst nachzudenken, um sich etwas für sich selbst zu erarbeiten. Alles wird vorgegeben, ohne Widersprüche. Dabei lehrt doch jeder zeitgemäße didaktische Ansatz, dass Dinge gerade dann besser hängen bleiben, verinnerlicht werden, wenn man sie auch selbst erarbeitet hat - aber, und das ist wichtig, auch eine Offenheit für eigene Schlüsse bleibt, für eigene Interpretation - statt sie mit dem, sicher aber zum aktuellen Zeitgeist passenden, hypermoralisierenden Dampfhammer zur reinen unhinterfragten Übernahme in den Kopf gezimmert zu bekommen.
Kommen wir zur Wertung.
Das klingt jetzt alles sehr negativ. Vielleicht zu negativ, denn Raya and the last Dragon ist kein schlechter Film. Aber eben auch kein guter Film, schon gar kein großartiger.
Und das ist umso ärgerlicher, weil er das Potenzial zu einem großartigen Film gehabt hätte. Alles war da, das "historische" und örtliche Setting, die Storyidee, die zahlreichen visuell herausragenden Momente.
Aber selten hat Disney in meiner Erinnerung so ein riesiges Potential so wenig ausgeschöpft und noch selten da, wo es gerade begann, ausgeschöpft zu werden, so durch handwerkliche Fehler wieder zunichte gemacht.
Das ist extrem schade. Für mich hätte der Film durch Setting etc. durchaus Potenzial auf 9/10 Punkten gehabt. Vielleicht wäre sogar eine volle Wertung möglich gewesen.
Aber letztlich komme ich auf viel weniger. 2 Punkte muss ich alleine wegen der schwachen Dialoge abziehen, 1 für die Charakterdarstellung und einen für den pädagogischen Dampfhammer. Bleiben 5/10 über, mit viel gutem Willen vielleicht 6/10.
Würde man es ganz kritisch sehen, wären auch noch weitere Abzüge durchaus möglich, vielleicht wären die aber auch übertrieben.
Alles in allem komme ich auf 5/10.