Ich komme selbst aus der Region Stuttgart und finde den ganzen Trubel um Stuttgart 21 nur noch nervtötend. Ich verfolge das ganze Geschehen schon seit einer ganzen Weile und habe mich auch mit dem Projekt mehrere Monate lang (mehr oder weniger freiweillig) beschäftigt.
Sicherlich liefen bei dem Projekt einige Dinge schief: Die Kommunikation war grottig, da wurde jahrelang Stuttgart 21s größter Vorteil die Fahrtverkürzung nach Ulm vorgehoben. Dass das Projekt aber viel mehr ist als nur das, ist vielen klar. Dennoch ist nur das in vielen Köpfen verankert. Klar, dass da der Unmut groß ist, dass man wegen einer Fahrtzeitverkürzung Milliarden "zum Fenster hinauswirft". Das passiert aber nicht, sondern Stuttgart wächst endlich zusammen - neuer Stadtteil, neue Chancen in dem Stuttgarter Kessel, in dem eigentlich nur was gebaut werden kann, wenn etwas abgerissen wird, WEIL eben alle Flächen schon bebaut sind. Aus dieser Perspektive ist das Projekt überwiegend gut und chancenreich.
Zu den Demonstrationen und Ausschreitungen: Die Medien zeigen auch nur das, was die sensationsgeile Masse sehen möchte. Natürlich kommen böse Schlagzeilen besser und bringen Absatz und Quote. Aber man muss auch die zwei Gesichter der Demonstranten sehen: Die einen mögen vielleicht friedlich sein, die anderen greifen da zu härteren Methoden. Unter dieser Gruppe sind viele Linksradikale, die S21 nur als Plattform benutzen, um richtig "die Sau rauszulassen". Das ist mir schon auf einigen Montagsdemonstrationen aufgefallen. Ebenfalls gibt es noch Gegner, die so erbost sind, dass sie aggressiv werden. Einem Bekannten wurde fast Prügel angedroht, weil er einen "Pro-Stuttgart-21"-Button trug. Völlig normal aussehende Leute kamen einfach her und rissen ihm gewaltsam den Button von der Jacke und beschimpften ihn - die Jacke war natürlich kaputt. Und so eine Geschichte habe ich nicht nur einmal gehört.
Mittlerweile gibt es auch friedliche Pro-Demos, wie z. B. Läufe durch Stuttgart (Keine Märsche, sondern richtige Running-Jogging-Läufe). Auch hier gibt es immer wieder, die die Meinung anderer nicht akzeptieren können und einfach mal mit Eiern werfen müssen. Wenn ich sowas sehe und höre, wundert mich das harte zugreifen der Polizei nicht mehr. Ich habe bislang sehr häufig Leute gesehen, die Pro'ler beschimpft und angepöbelt haben. Ich habe aber bisher noch nie das Ganze andersherum gehört - es ist einfach Fakt, dass viele einfach nicht wissen, wann genug ist und es sich gehört, die Meinung des anderen zu akzeptieren, auch wenn sie noch so abwegig ist. Das ist aber bei den Gegnern wohl kaum der Fall.
Dass Kinder und Jugendliche davon betroffen waren, war sicherlich teils unglücklicher Zufall, teils auch - so hart es klingt - verantwortungslos gegenüber der Menschen, die diese Kinder zur Demo gebracht haben. Jeder weiß, dass diese Demos derzeit zu den Krisenherden No. 1 in Deutschland gehören, wo es auch sehr ruppig zugehen kann. Und dort schleppt man einfach paar Kinder mit? In meinen Augen ist das - egal ob dafür oder dagegen - extrem verantwortunglos und provokant.
Absolut amüsant finde ich auch, wie man immer auf die Umwelt hinweist und wie gefährlich das Projekt für die Umwelt ist. Wieviel Dreck und Müll die ganzen Demonstranten in ganz Stuttgart zurücklassen - und das ist wirklich unglaublich viel -, daran wird nicht gedacht. Dass die ganzen Anti-"S-21"-Kleber, die wirklich beinahe die ganze Stadt bedecken und an Mülltonnen, Straßenlaternen, Schaufenstern, S-Bahn-Türen schon beinahe an Vandalismus grenzen, daran denkt auch keiner. Ich möchte nichts wissen, wieviel Geld die Beseitung dieser Kleber kostet.
Stuttgart hat in meinen Augen schon seit Jahren den Ruf als Kleinbürgertum weg. Schwaben, Schaffe Schaffe, Häusle Bauen, etc. Das ganze Tohuwabohu kommt da diesem Ruf alles andere als gut. Sich so hineinzusteigern wegen eines Bahnhofs und der Kosten ist einfach nur übertrieben. Mit Demokratie hat das für mich nicht mehr viel am Hut, die meisten sind ja sowieso nur "Wellness-Demonstranten", um mal richtig schön auf den Putz zu hauen.
@Stephie: Du hast völlig Recht! Ich habe auch schon gehört, wie viele offene Diskussionen es in den 90ern gab und sich keiner dafür interessiert hatte. Scheinbar waren da andere Themen wichtiger. Schön eine Meinung von einer anderen Stuttgarterin zu lesen, die das so ähnlich sieht wie ich